Letzten Samstag demonstrierte auf dem Bundesplatz eine übersichtliche Gruppe von Anhängern christlicher Freikirchen für die Religionsfreiheit ihrer Glaubensgenossen in der islamischen Welt.

Religionsfreiheit_fuer_Christen_Bern25092010Auf den ersten Blick – ein legitimes Anliegen. Fast hätte man sich spontan entschliessen können, eine zirkulierende Petition vorbehaltlos zu unterschreiben. Der Islam in seiner normativen Ausprägung respektiert Christen und ihre Religionspraxis – daran gibt es keinen Zweifel. Missstände sind abwechslungsweise die Folge von bad governance, politischer Instrumentalisierung oder kulturellen Missverständnissen. Allerdings musste der Leitslogan «Religionsfreiheit für Christen» jeden andersgläubigen irritieren. Gerade nach Annahme der Anti-Minarett-Initiative hätte doch eine Verallgemeinerung dieser zentralen Sentenz nahegelegen.

Ein Blick auf die Organisatoren bestätigt alsbald die Zweifel. Initiantin war die CSI (Christian Solidarity International), die sich auf ihrer Webseite selbst gerne als eine «christliche Menschenrechtsbewegung für Religionsfreiheit und Menschenwürde»  beschreibt. Die international tätige Organisation wurde 1977 vom evangelisch-pietistischen Schweizer Pfarrer Hansjürg Stückelberger gegründet, der nach wie vor als deren Vorsitzender waltet. Stückelberger ist kein Unbekannter. Einer breiteren Öffentlichkeit weilt der 73-jährige als strammer Befürworter des Minarett-Verbots noch in Erinnerung. Viele staunten nicht schlecht, als sie im Herbst 2009 einige Wochen vor der Abstimmung die A4 Hochglanz-Broschüre von «Zukunft CH» im Briefkasten fanden. Der Verein «Zukunft CH» verbreitet neben Stimmung gegen den Islam vor allem Werbung für «christliche Werte». Die entsprechend benötigten Finanzen für solche Aktionen fehlen dem Pfarrer keinesfalls. Der «Tages-Anzeiger» zeichnete in einem Hintergrundbericht Ende Januar 2008 die Machenschaften Stückelbergers detailliert nach. Demnach ist der CSI-Gründer bestens mit bekannten Grössen aus der islamophoben Szene vernetzt, darunter mit dem millionenschweren Rudolf Syz aus Liestal und dem «Pax Europa»-Gründer Udo Ulfkotte. Während Syz stolz zu seinen umfangreichen Donationen an «Pax Europa» und «Zukunft CH» steht, denkt Ulfkotte laut über eine Fusion mit Stückelbergers Verein nach. Aus «Pax Europa» würden dann jeweils nationale «Zukunfts»-Vereine ganz nach den strukturellen Vorgaben Stückelbergers.

Die Botschaft der Kundgebung von letztem Samstag erscheint vor dem Hintergrund dieser islamophoben Strukturen in einem gänzlich neuen Licht. Weil Muslime «unter dem Einfluss eines lügnerischen Geistes» stünden, bekämpft Stückelberger die für alle Religionen geltende Religionsfreiheit im eigenen Land mit Vehemenz und predigt einer Rechristianisierung der Gesellschaft unablässig das Wort. Seine zukünftige Schweiz ist eine, die auf «christlichen Werten» basiert, nicht-christlichen Glaubensbekenntnissen gegenüber intolerant auftritt und den «Genderwahn» in die Schranken weist.

Minarette widersprechen dem «Gastrecht»

Die CSI wurde bei der Organisation ihrer Kundgebung von einer «Arbeitsgruppe» der SEA (Schweizerisch Evangelische Allianz) unterstützt. Eigentlich sollte schon die enge Kooperation zwischen SEA und CSI Anlass zu weiteren Fragen geben, hätte die SEA ihre Haltung gegenüber den muslimischen Bürgern nicht bereits am 18.November 2009 offengelegt. Damals forderte sie von den Muslimen ein «Zeichen der Verständigung» und diktierte auch gleich die gewünschten Inhalte. Unter anderem sollten die Muslim-Verbände bekräftigen, dass Moscheen auch ohne Minarette «vollwertige Moscheen zur Ausübung des Glaubens» seien, dass Muslime grundsätzlich ihren Status als «Gastkultur» in der Schweiz hervorkehren sollten und mit Nachdruck darauf hinzuweisen sei, dass die Forderung nach Minaretten als öffentliche Symbole «den Werten der Gastfreundschaft» widerspreche.
Diesem Verständnis folgend, sind Muslime in der Schweiz lediglich zu Gast und haben zudem keinen Anspruch auf die staatsbürgerlichen Grundrechte, zu denen auch die Religions- und Kultusfreiheit zählt – bzw. sollen sich nicht der «Provokation» hingeben, jene aktiv einzufordern.

Welche Rolle spielte SP-Nationalrat Lumengo?

Stückelberger und die SEA können sich offenbar vorbehaltlos die Hand reichen, wenn es um die Ausgrenzung der muslimischen Minderheit geht. Viel fragwürdiger erscheint der Auftritt von Nationalrat Ricardo Lumengo, dem einstigen Aushängeschild der Berner Sozialdemokraten. Lumengo sprach sich im November 2009 noch deutlich gegen das Minarett-Vebot aus und kämpft zumindest auf seiner Homepage für mehr «soziale Gerechtigkeit» und noch expliziter für die Rechte der Ausländer. Ob dem SP-Nationalrat die hinter der Kundgebung liegende Ideologie schon vor seinem Auftritt bekannt war, sei dahin gestellt. Spätestens die aggressiv gegen den Moscheenbau zugespitzten Parolen auf den Transparenten einiger Teilnehmer hätten ihn verunsichern müssen.

Über Intoleranz zur christlichen Gesellschaft?

Moscheen_gegen_Kirchen_Demo_25092010Religionsfreiheit im Sinne der CSI, SEA und wie sie sonst noch alle heissen meint jedenfalls eher ein auf das Christentum beschränktes oder negativ ausgedrückt, ein den Islam ausklammerndes Freiheitskonzept. Wie soll man sich die Doppelzüngigkeit eines Stückelbergers, der mit seiner «Zukunft CH» im eigenen Land die Religionsfreiheit aktiv bekämpft und sie mit der «CSI» im Ausland parallel dazu reklamiert denn sonst erklären?

Tagesschau Moderator Urs Gredig bemerkte einleitend zum Kurzbericht über die  Kundgebung ganz treffend, dass es nicht nur Christen in der islamischen Welt, sondern auch Muslime im Westen als religiöse Minderheiten nicht gerade leicht hätten. Kein Wunder, wenn die Stückelbergers und Co. aktiv darum bemüht sind, religiöser Intoleranz zu gesellschaftlicher Anerkennung zu verhelfen. Dass sie dabei alleine dem Prinzip der Reziprozität folgen, also ausländische Missstände mit der Schaffung gleichartiger Missstände im Heimatland quittieren wollen, erscheint eher als peinlicher Rechfertigungsversuch. Die Gesellschaft entlang religiöser Gräben zu polarisieren ist wohl die wahrscheinlichere Programmatik dahinter. Vielleicht erhofft man sich in evangelikalen Kreisen, wie einst Luther in seinen Türkenpredigten, dass zunehmende Feindseligkeiten gegenüber dem Islamischen, die Rückbesinnung und verstärkte gesellschaftliche Sinnsuche im Christlichen evoziert.

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